top of page

Bericht von der Kreativen Provinz II


​21 Pecha Kucha Kurzvorträge zeigten in komprimierter Form die Vielfalt künstlerischer Initiativen in Brandenburg, Mecklenburg und auch jenseits der Grenze in Polen.

In den kurzweiligen, leuchtfeuerartigen Pecha Kuchas wurde deutlich, wie unterschiedlich die Strategien der künstlerischen Auseinandersetzung mit peripheren Räumen sind und wie vielfältig die visuellen Ausdrucksformen von RaumUmOrdnung sein können.

Zu Anfang des zweiten Tages referierte Karsten Wittke den Ablauf der ersten Kreativen Provinz in Potsdam und gab einen kurzen Überblick über die Entwicklung des RUOs seit seiner Gründung.

Anschließend stellten die Moderatoren kurz den Schwerpunkt der Gespräche an ihren jeweiligen Thementischen vor:

• Sabine Niels: Anfangen und Aufhören – Erfolg und Scheitern von partizipativen Kunst-Projekten / Befähigungsstrategien (Enablement).

• Michael Kurzwelly: RaumUmOrdnung – Welche Instrumente sind typisch für RaumUmOrdnung / Aneignungsstrategien

• Gerhard Mahnken: Finanzen – Offizielle und alternative Finanzierungsmodelle

• Der Thementisch Landarbeit – Erfahrungen und Voraussetzungen für Kunstprojekte im ländlichen Raum; Strategien von Landinitiativen musste leider wegen der kurzfristigen Absage des Moderators Lars Fischer alleine arbeiten.

Die nach dem Prinzip Worldcafé organisierten Thementische waren eine bereichernde Erfahrung für die Teilnehmer. Es war ein spannender Erfahrungsaustausch unter den Akteuren, der gerade durch die Vielfalt der persönlichen Erzählungen sehr tiefreichend und substanziell war. Auch wenn wegen des relativ schnellen Wechsels (alle 45 min.) in der Zusammensetzung der Thementische keine im analytischen Sinne eindeutigen Ergebnisse erreicht werden konnten, kam es zu einer sehr offenen, von gegenseitigem Vertrauen geprägten Gesprächsatmosphäre. Möglicherweise sind wir auf dieser Ebene den Erkenntnissen über die Wahl und Anwendung der von uns entwickelten und benutzten Werkzeuge sogar viel näher gekommen, als es auf den ersten Blick schien.

In diesen Gesprächen vertieften sich Erkenntnisse, die schon in den Pecha Kuchas angerissen wurden. Gerade in diesem Überblick, den die Summe der Pecha Kuchas erzeugte und der in vielen Fällen ein jahrelanges Engagement der Akteure dokumentierte, zeigte sich die historische Perspektive raumUmOrdnerischen Handelns, die schon in den 90er Jahren als Bewegung einsetzte.

Drei Typen raumUmOrdnerischen Handelns stachen dabei ins Auge. In einigen Fällen scheint es sich bei diesen Typen um Entwicklungsphasen zu handeln, die in zeitlicher Abfolge durchschritten werden, in anderen Fällen eher um Mischformen, die sich durchdringen und teilweise gleichzeitig stattfinden. Ich möchte sie als eine Art Dreiklang verstanden wissen, die sich ergänzen, die zusammenklingen, egal in welcher Reihenfolge und unabhängig davon ob sie als Akkord gemeinsam angeschlagen Akzente setzen oder nacheinander, nebeneinander ertönen.

So problematisch idealtypische Kategorisierungen sein mögen, wenn sie starre Handlungsformen vorschreiben, so hilfreich können sie doch als grobe Halteseile im Selbstfindungsprozess eines Netzwerks sein. Gleichzeitig kann man in ihnen Hinweise auf selbstgestalteten Reaktionen im Sinne des gesellschaftlichen Wandels erkennen und die RaumUmOrdner als Träger dieser Transformation identifizieren.

In diesem Sinne:

• Ländliche Projek(t)räume

Hier steht eine neue Raumerfahrung im Vordergrund. Das kann die als neu erlebte ‚ländliche Umgebung’ sein, oder die Adaption eines Objekts, einer ‘reizvollen Immobilie’. Es kann aber auch dieErfahrung sein, in einem ungewohnten ‘sozialen Kontext’ zu agieren oder die Feststellung eines sozialen Ungleichgewichts, einer gesellschaftlichen Schräglage/Dysfunktion.

Die Faszination der neuen Raumerfahrung äußert sich in dem Wunsch ‚etwas machen zu wollen’ ohne noch genau zu wissen, mit welchem Inhalt der jeweilige Raum gefüllt werden kann/soll. Trotzdem wird mit dem Handeln begonnen: Man initiiert ein ‚Projekt’, beginnt mit dem Aus- oder Umbau, engagiert sich im gesellschaftlichen Kontext, setzt eine künstlerische Idee um.

Bei diesem Typus geht es primär um die Anverwandlung neuer Räume, eine Beschäftigung, die aber durchaus Dauercharakter annehmen kann, zumindest aber ein länger andauernder Prozess ist. Wichtig ist das Ausloten und Erkunden. Welche Dinge sind an einem bestimmten Ort möglich oder notwendig - damit beschäftigt man sich. Dabei wird häufig mit großer Achtsamkeit der lokale Kontext bedacht und es werden in diesem Prozess die für den jeweiligen Kontext passenden Werkzeuge entwickelt/gefunden.

(Bahnhof Hangelsberg, Tabakfabrik Vierraden, Kammergarten, Stechlin-Institut)

• Materialisierungen / Vitalisierungen

Hier werden temporär begrenzte Aktionen/Projekte durchgeführt. Häufig handelt es sich dabei um Kunstausstellungen an peripheren Orten, oder um Theaterproduktionen, Performances etc.

Dabei findet Kunst noch im Sinne einer künstlerischer Produktion statt, zu der auch andere, externe Künstler eingeladen werden.

Mit den Mitteln und Ausdrucksformen zeitgenössischer Kunst werden gesellschaftliche, historische und/oder architektonische Räume durchdrungen und erschlossen. Durch Hinzufügen, Abändern, Provokationen oder andere Interventionen, die sichtbar und spürbar sind, werden Erkenntnisprozesse in Gang gesetzt und Wahrnehmung geschärft. Und das sowohl bei den beteiligten Künstlern, die sich diesen speziellen Räumen beim Erstellen ortsspezifischer Arbeiten aussetzen, als auch bei den lokalen und den angereisten Rezipienten.

Bei dieser Form von RaumUmOrdnung findet ein Maximum an Kontakt-, Wissens- und Inspirationstransfer statt zwischen alteingesessener Bevölkerung, RaumUmOrdnern und Rezipienten aus der Großstadt, der gelegentlich allerdings auch als gegenseitige Zumutung erlebt werden kann.

Diese RaumUmOrdnung sucht sich oft wechselnde Ziele/Räume für ihre

Aktivitäten.

(Endmoräne, Kunstpflug, Kula, Schlachten, Hupe)

• Entmaterialisierte Räume

Hier wird längerfristig an einem (raumUmgeOrdneten) Ort agiert, der mit wechselnden Projekten bespielt wird.

Während am Anfang häufig noch die „klassische“ Kunstproduktion im Vordergrund steht, weicht diese allmählich einer Entmaterialisierung. Es entwicklen sich reine Kommunikationsräume, kleine Dorf-Agoren werden geschaffen, an den neue Lebensformen verhandelt und ausprobiert werden sollen.

Dabei stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung eine Reaktion auf eine Kunstförderung ist, die zwar Nachhaltigkeit fordert aus Angst vor sich institutionalisierenden Initiativen aber nicht fördert und

lokale Quellen (Landkreise, städtische Budgets, Jobcenter) sich als verlässlichere Partner für wiederkehrende Antragsstellungen erwiesen, gleichzeitig aber größeren Wert auf soziale Aspekte und die Einbeziehung von lokalen Bevölkerungs(rand)gruppen legen.

Es könnte aber auch sein, dass das Anlocken großstädtischen Publikums, das weite Fahrtwege auf sich nehmen muss, nicht dauerhaft gelingen kann.

Ein dritter Faktor könnte sein, dass Kunst als Wohlfühlfaktor die Provinz erreicht hat: kaum ein Wochenende ohne entsprechende „Kunst“-Veranstaltungen und Bekunstungen.

In Abgrenzung zu dieser Entwicklung vollzieht sich eine innere Vertiefung, die versucht angesichts des gesellschaftlichen Wandels parallele Lebensformen neben und zur Erwerbsarbeit zu entwickeln. Noch kommt diese Entwicklung vorwiegend aus dem künstlerischen Sektor, aus dem die meisten RaumUmOrdner stammen. Aber die neuen Kommunikationsräume versuchen Plattform zu sein für die Verbreitung von commons-Ideen und gemeinsinnigem Wirtschaften. Sie propagierenTausch-Börsen, Lebensmittelkooperativen und alternative Saatgutzüchter und suchen nach Wegen für andere solidarische Lebensformen. In Zeiten allgemeiner Null-Verzinsung des Kapitals eröffnen sich hier auch Zusammenschlüsse für die solidarische Neugründung von Energieversorgungsbetrieben in kommunaler Hand, wenn der Schulterschluss mit bürgerlichen Kapitalgebern gelingt. Hierfür in offenen Kommunikationsräumen den Boden zu bereiten, wäre ein weiteres mögliches Handlungsszenario für raumUmOrdnerische Betätigungsfelder.

(LandKunstLeben, iku, Nowa Amerika, Relais, Stallmuseum, aber auch ZeitBankCzasu)

Hier öffnet sich nun auch die Perspektive auf die nächste Konferenz der Kreativen Provinz, die in Zusammenarbeit mit der Stiftung Bauhaus Dessau organisiert wird. Dabei soll es um kulturelle und finanzielle Bewertungen und Wertesysteme und den gesellschaftlichen Mehrwert von Kunst gehen. Außerdem soll die Frage untersucht werden, wie in Zukunft die Zugewinne zwischen Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft gerecht und zukunftsgestaltend verteilt werden können.

Der dritte und letzte Tag stand unter dem Zeichen, wie das Netzwerken an sich voran gebracht werden könnte. Interessante Anregungen dazu bot das Beispiel der ‚Projekträume Berlin’, deren Webseite vor allem zwei Dinge zeigt: Wichtig ist eine breite Aufstellung der Akteure (Inklusion), die Differenzierung in aktive Mitglieder und gewöhnliche (nur wer öfter an Sitzungen teilnimmt kann Eingaben machen) und die enorme Erhebung von Daten, was die einzelnen Mitglieder machen.

Ähnliches könnte für das RUO umgesetzt werden. In einer abschließenden Diskussion wurde über zwei Aspekte nachgedacht. Zum einen, in wie weit das RUO-Netzwerk eine solche Datenerhebung leisten könnte, ohne dass die Akteure das Gefühl haben sich 'nackig' zu machen. Statt Fragebögen zu verschicken kam die Idee auf eine Art Gesandten herumzuschicken, der gleichzeitig eine befruchtende Funktion haben könnte, indem er Informationen von einem Projekt zum anderen tragen könnte. Einig war man sich, dass zum jetzigen Zeitpunkt der Einsatz eines realen und engagierten Menschen zwingend notwendig ist, weil die meisten Akteure in ihren jeweiligen Projekten so stark ausgelastet sind, dass zu wenig Kapazitäten für weiterreichende Netzwerkaktivitäten vorhanden sind. Möglicherweise kann diese Idee schon bald umgesetzt werden, falls der von Christine Hoffmann gestellte Antrag für einen griechischen Kulturmanager positiv beschieden wird.

Der zweite Impuls ging von Michael Kurzwelly aus, aus dessen Sicht sich das Netzwerk zunehmend um Bildungsaufgaben und -Inhalte kümmern sollte.

Schließlich präsentierte der Konferenzzeichner Bogdan Achimescu per video-beam seine Beobachtungen. Er zeichnete aus der Sicht eines Eremiten, der den weiten Blick über das offene Meer schweifen lässt, ein von großer Sympathie für die Akteure/Konferenzteilnehmer geprägtes Bild, voller Ironie, Witz und Herzlichkeit.

Featured Posts
Recent Posts
Archive
Search By Tags
No tags yet.
Follow Us
  • Facebook Basic Square
  • Twitter Basic Square
  • Google+ Basic Square
bottom of page